Die biogenetische Grundregel
besagt in ihrer ursprünglichen Form:
Einschränkungen:
Es werden nicht mehr alle der ursprünglichen Organe angelegt.
Viele Organe werden nur unvollständig und nicht funktionsfähig ausgebildet
(z.B. öffnen sich die Kiementaschen der Fische und Amphibienlarven,
die Kiementaschen der Landwirbeltiere jedoch bleiben geschlossen bis auf die
erste Kiementasche, die sich öffnet und anschließend durch das Trommelfell
wieder geschlossen wird).
Außerdem können sich entsprechende Organanlagen auch zu ganz neuen Organen weiterentwickeln.
Eine etwas vorsichtigere Formulierung lautet daher so:
Während der Individualentwicklung (Ontogenese) werden häufig Merkmale der stammesgeschichtlichen
Vorfahren ausgebildet, die im Adultstadium fehlen.
Beispiele:
- Die Embryonalstadien verschiedender Wirbeltiere ähneln sich stärker als die erwachsenen Tiere (vgl. Abb. 1)
Abb. 1: Die Entwicklungsstadien (von links nach rechts):
Mensch,
Schwein,
Schildkröte,
Huhn,
Fisch,
Salamander.
Gut erkennbar ist die Anlage der Kiemenbögen.
(Idealisierte Darstellung nach Haeckel)
Zum Weiterlesen:
- Anthropogenie oder Entwickelungsgeschichte des menschen (1874)
- Der menschliche Embryo besitzt ein Haarkleid, eine Anlage der Schwanzwirbelsäure und ein Loch in der
Herzscheidewand.
- Kaulquappen sind anfänglich Kiemenatmer.
- Rinder besitzen embryonal Anlagen von Schneidezähnen im oberen Kiefer.
- Schollen besitzen im Larvenstadium symmetrisch angeordnete Augen (vgl. Abb. 2)
Abb. 2: Vier Entwicklungsstadien der Scholle. Die Augen wandern auf eine Körperseite dieses Plattfisches.
(Verändert nach Boas aus Osche)
- Bei den Embryonen mancher Wale werden auch hintere Extremitätenknospen ausgebildet (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Embryo eine kleinen Schwertwals.
(Verändert nach Müller aus Slijper)
- Blindschleichenembryonen zeigen Anlagen der Vorderextremitäten.
- Beim Vogelembryo sind Mittelfuß- und Fußwurzelknochen noch getrennt, später verschmelzen sie miteinander.
- Die Nauplius-Larve der Seepocke ähnelt stark den Larven anderer Krebstiere.
- Bestimmte Entwicklungskontrollgene (=homöotische Gene) steuern u.a. die Ausbildung der Körpergliederung.
Sie sind auf dem Chromosom in derselben Reihenfolge angeordnet, wie sie entlang der Körperachse wirken:
Die Gene am vorderen Ende der DNA kontrollieren die Ausbildung des Kopfes, dann folgen die
Kontrollgene für die Ausbildung der Brust sowie schließlich die des Hinterleibs.
Die auf dem Chromosom 3 liegenden insgesamt neun homöotischen Gene von
Drosophila
besitzen einen etwa 180 Basenpaare langen
Abschnitt, der bei allen neun Genen sehr ähnlich ist.
Dieser Abschnitt wird als
Homöobox
bezeichnet.
Auch bei Wirbeltieren wie Mäusen oder Menschen hat man solche Gene mit Homöobox gefunden.
Sie liegen hier allerdings durch
Genverdopplung
vervielfältigt
(auf vier sogenannten HOX-Clustern verteilt) auf die Chromosomen
6, 11, 15 und 2 vor. Sie sind ebenfalls für die Ausbildung der Körpergliederung zuständig.
Abb. 4: Hox Gene in Maus und Mensch mit ihren stammesgeschichtlichen Entsprechungen in Drosophila; Die Gene der vier Hox-Cluster der Wirbeltiere sind mit a bis d gekennzeichnet. Die Zahlen entsprechen den Nummern der ursprünglichen neun homöotischen Gene bei Drosophila. Es besteht eine Übereinstimmung zwischen der Genanordnung, dem Zeitpunkt der Genexpression sowie dem Auswirkungsort auf die Körperlängsachse des Embryos. Drei besonders ursprüngliche Gene (Ancestral Gene), die sich später verdoppelt haben (Paralouges=durch Genverdopplung entstanden), sind durch die grauen Balken gekennzeichnet.
Zum Weiterlesen:
- Building divergent body plans with similar genetic pathways
- Die Geschichte der Hox-Gene
- The Origins of Anterior-Posterior Polarity
- Wells and Haeckel's Embryos
- Patterning the Vertebrate Body Plan II: The Somites and Early Nervous System
- Gib mir fünf! Oder sechs? Oder sieben?