Der englische Genetiker John Haldane antwortete auf die Frage, ob er für seinen ertrinkenden Bruder in einen eisigen Fluss springen würde:
„Nein, aber für zwei Brüder oder acht Cousins würde ich mein Leben hergeben.“
Ermittelt man für verschiedene
Verwandtschaftsbeziehungen
den Grad an genetischer
Übereinstimmung bezogen auf ein bestimmtes Indiviuum, so erhält man die folgenden
Verwandtschaftskoeffizienten r .
Daraus ergibt sind, dass selbst im Falle des Verzichts auf das eigene Überleben
(und somit auch auf eigene Nachkommen) die eigenen Gene in beiden Fällen
statistisch zu 100% (2×0,5=1; 8×0,125=1) in die nächste Generation gelangen würden.
Damit sich ein solches Verhalten jedoch durchsetzen kann, muss dieser
indirekte Fitnessgewinn
größer
(und nicht etwa nur gleich) dem eigenen direkten Fitnessverlust sein!
Das Zitat müsste daher eigentlich sinnvollerweise lauten:
„... für drei Brüder oder neun Cousins ...“
Bereits Charles Darwin erkannte das Problem, wie die
Entstehung unfruchtbarer Mitglieder eines Insektenstaats
mit Hilfe der natürlichen Selektion
zu erklären ist.
Dieses Beispiel wurde später elegant durch den Einfluss der
Verwandtenselektion erklärt.
Da bei Hautflüglern nur die weiblichen Tiere (Königin und Arbeiterrinnen)
diploid
sind, die männlichen Tiere (Drohnen) dagegen
haploid,
ergeben sich hier jeweils bezogen auf eine bestimmte Arbeiterin
(vom oben beschriebenen Normalfall)
abweichende Verwandtschaftskoeffizienten:
⇒ Das Brutpflegeverhalten der Arbeiterin
für die eigenen Schwestern
ist somit genetisch vorteilhafter als die
Aufzucht eigener (weiblicher) Nachkommen!
⇒ Zusätzlich verbessert die Arbeitsteilung
auch die direkte Fitness.
⇒ Je nachdem, ob die Gene der Arbeiterinnen oder
die Gene der Königin das Geschlechterverhältnis bestimmen
(Voraussetzungen: Die Arbeiterin kann das Geschlecht bereits frühzeitig erkennen
und die Königin legt gleich viele Eier beiden Geschlechts),
lassen sich zwei Vorhersagen zum zu erwartenden Geschlechterverhältnis in
einen solchen Insektenstaat treffen:
- Fall 1: Die Gene der Arbeiterin bestimmen das Geschlechterverhältnis und die Königin ist monogam:
weiblich:männlich = 0,75:0,25
Dieser Fall ist typisch für viele Ameisen. In Völkern der Honigbiene dagegen
kommen Drohnen in höherer Anzahl meist nur in der Schwarmzeit im Frühjahr vor.
- Fall 2: Die Gene der Königin bestimmen das Geschlechterverhältnis, es ist hierbei
egal, ob die Königin monogam oder polygam ist:
weiblich:männlich = 0,5:0,5
- Fall 3: Die Gene der Arbeiterin bestimmen das Geschlechterverhältnis
aber die Königin verpaart sich mit mehreren Drohnen:
weiblich:männlich = 0,25:0,25
da dann die Halbschwestern den gleichen Verwandtschaftskoeffizienten
haben wie die Brüder.
⇒ Nach dem Wegfall einer Königin bei Bienen werden in einer Übergangsphase
nicht mehr die Kinder der dann zur neuen Königin herangereiften Schwester
bevorzugt aufgezogen (Nichten/Neffen mit r=0,375), sondern viele Arbeiterinnen legen
häufiger eigene unbefruchtete Eier (Söhne mit r=0,5) und
investieren mehr in deren Aufzucht.
Auch bei Hummeln tritt dies sehr häufig auf.
Die Fälle 2 und 3 ergeben also immer ein Geschlechterverhältnis von
weiblich:männlich = 1:1